meHRdigital: #3.4 Digitalisierung im Talent Management: Findet Karriere jetzt online statt?

Veröffentlicht am 23.09.2021

Illustration von Online-Kommunikation mit Personen und Symbolen

Begleiterscheinungdes Humankapital

2004 wurde Humankapital zum Unwort des Jahres gekürt. Grund hierfür war sicher auch die häufig assoziierte Entmenschlichung von Arbeit im Unternehmen, die Betrachtung der Arbeitnehmer*innen als reinen Produktionsfaktor und ein Bild von Personalarbeit, als kaltes Portfoliomanagement, welches damit erzeugt wurde.
Für das Talent-Management jedoch war die "Humankapital"-Bewegung ein echter Türöffner. Denn sie hat maßgeblich dazu beigetragen, den (auch immateriellen) Wert der Mitarbeiterschaft und deren Potenziale deutlicher auf Management-Ebene bewusst zu machen und "management attention" für wichtige Personalmanagementfragen zu erhalten.
Es wurde erkannt, wie wichtig es ist, vorausschauend Talente zu identifizieren, zu gewinnen, Stärken zu entwickeln, Bedarfe zu wecken und kritische Positionen nachhaltig mit den passenden Talenten zu besetzen. Dazu müssen Recruiting, Onboarding, Learning, Development, Performance & Feedback, Compensation, Nachfolgeplanung und insbesondere Führung gut zusammenspielen. 
Um Talent-Management jedoch besser als explizite Aufgabe annehmen zu können, ist eine Aufteilung auf folgende Bereiche sinnvoll: ERKENNEN . ENTWICKELN . ENGAGIEREN

Digitale Hilfe

Ob digital oder analog,  Talent-Management ist eines der herausforderndsten, aber auch chancenreichsten Themen der Personalarbeit. Es handelt sich um kritische Prozesse für die Entwicklung und das gesunde Wachstum von Unternehmen, zu denen es viele Ansätze und Maßnahmen gibt.
Dadurch ist Talent-Management oft sehr spezifisch auf das jeweilige Unternehmen und die Kultur angepasst und häufig schwer in formelle Matrizen und Verfahren zu fassen. 

Digitale Tools bilden daher oft vor allem eine ausgewählte Menge gängiger Leistungsfelder an, wie bspw.:

  • Recruiting (extern und intern)
  • Strategische Personalplanung
  • Talent Pools
  • Beurteilungen und Mitarbeitergespräche
  • Feedbacksysteme
  • Skill- & Kompetenzmanagement
  • Nachfolgemanagement zur Besetzung und Sicherung von Schlüsselpositionen und zur Eröffnung von Perspektiven für Talente
  • Matching-Plattformen für MitarbeiterInnen, Projekte und Stellen
  • Karrierepfade für Spezialisten (Fach und Projekt) und Führungskräfte
  • Expertenplattformen oder -Verzeichnisse
  • Qualifizierungspfade und Curricuale

Die digitalen Tools liefern häufig praxiserprobte Prozesse und Instrumente "out of the box". Eine solche Softwarelösung kann dabei helfen, neue Methoden auszuprobieren und Transparenz sowie Geschwindigkeit in Prozesse zu bringen. Die spezifische Ausprägung, wie der Einsatz in der eigenen Organisation dann aber konkret ausgestaltet werden soll, empfehlen wir, sehr intensiv zu diskutieren, denn je nach Reifegrad im Thema ist die Anwendung kein Selbstläufer und Transparenz auch nicht immer ein von allen Organisationsmitgliedern gewünschter und begrüsster Zustand.  
Auch technisch gilt es einiges zu Berücksichtigen, denn auch bei Talent-Management-Software ist Integration ein elementarer Aspekt, wenn es neben der Einführung von Maßnahmen auch um Effizienz, Datenqualität und Nutzerorientierung geht.
Für einzelne Aspekte wie Feedback gibt es viele, teils sehr junge, Softwareanbieter am Markt, sogenannte "Insellösungen", die allerdings häufig auch gut an bestehende System angebunden werden können.
Aus einigen Insellösungen haben sich mit der Zeit umfassendere "Talentsuiten" wie bspw. Cornerstone, Rexx, Haufe oder Talentsoft entwickelt, die Maßnahmen und Prozesse verzahnen und gesammelt anbieten. Gerade Recruitinglösungen, die bisher häufig neben einer HR-Suite betrieben wurden, erweitern zunehmen ihr Leistungsfeld um interne Bewerbungen, Talent-Pools oder Börsen für Jobs oder Projekte.
Natürlich bieten mittlerweile auch die großen HR-Suiten Talent-Management-Module an, wodurch eine vollständige Integration aller wichtigen HR-Daten in einer zentralen Software erfolgt (bspw. Workday, SAP SucessFactors oder Personio).

Employee-Engagement

Talente zu gewinnen und zu entwickeln reicht nicht aus: Es gilt die MitarbeiterInnen nachhaltig zu binden, auch dies ist erklärtes Ziel des Talent Management. Nicht zuletzt das stark steigende Bewusstsein für Employee Experience zeigt, wie wichtig positive Mitarbeiterinteraktionen sind.
Ob bei der Bindung von MitarbeiterInnen jedoch nur auf Talente fokussiert werden sollte, hängt sicher von der Strategie eines jeden Unternehmens ab. Alle gemein haben allerdings, dass der Verlust vielversprechender Talente auf/für kritische(n) Positionen das Unternehmen lähmt, wenn nicht sogar ins Straucheln bringen kann.
Zur Bindung braucht es gute Hygiene-Faktoren und reibungslos oder zumindest gut funktionierende Tools, aber für die Bindung sind vor allem Identifikation, Entwicklungschancen, Kultur und Führung entscheidend.

StrategischePerspektive

Talente-Management wird häufig noch nach „Bauchgefühl“ betrieben,  denn viele Personalleiter und Geschäftsführer sind überzeugt, ihre Belegschaft gut genug zu kennen, um gezielt Talente  identifizieren und fördern zu können.
Häufig und gerade in kleinen Betrieben ist dies auch grundsätzlich möglich, allerdings läuft man auch in überschaubaren Organisationen dabei Gefahr, "stille Talente" zu übersehen oder andere Talente überschätzt, da die Validieren der Einschätzung fehlt. Auch der Einfluss des Rosenthal-Effekts ist wahrscheinlich gegeben (der sogeannte Versuchsleiter(erwarungs)effekt. Von mir als Versuchsleiter (Talent Manager) ausgewählten Personen traue ich mehr zu. Durch meine positive Erwartungen, Einstellungen, Überzeugungen kommt es häufig zu einer "selbsterfüllenden Prophezeiung" . Ob hingegen anders Vorgehensweisen viel mehr Erfolg bieten würden, erfahre ich ohne ein Korrektiv nicht.

Insbesondere in dezentralen und internationalen Organisationen stellt sich also die Frage, wie Transparenz über Potenziale geschaffen und wie eine gewisse Validierung erfolgen kann. Wie können mit vertretbarem Aufwand Programme ausgesetzt werden, die zielorientiert attraktive Entwicklungsangebote denen unterbreiten, die Bereitschaft zeigen, sich engagiert einzubringen?

Klassische wird dabei mit zentralen, organisationsweiten strategischen Ansätzen operiert: Bewertungen und Auswertungen von operativer Performance mit normierten Skalen, Feedbackanalysen, Gesprächsrunden, Bildung von Pools, etc.

Alternativ können Initiativen aufgesetzt werden, die eine Kultur und ein Umfeld schaffen, in dem sich MitarbeiterInnen gemeinsame mit ihrer Führungskraft und ihrem Team in ihren Stärken entwickeln können und sich trauen dürfen, ins Licht zu treten und Chancen zu ergreifen oder gar zu erschaffen.

Beide Ansätze sind auch kombinierbar und so oder so müssen weder Personaler noch Führungskräfte anfangen, Menschen in "gute" und "schlechte" Arbeitnehmer zu unterteilen - im Gegenteil: Es geht darum, MitarbeiterInnen und Unternehmen gemeinsam nach Stärken und Potenzialen zu entwickeln.

Welche Rolle spielt dabei nun die Digitalisierung? Viele Tools machen sich die Erfahrungen der Social Media Plattformen zu nutze und vereinfachen das In-Kontakt-Treten, den Austausch und die Transparenz über eigene Erfahrungen und Vorlieben. Die Mitarbeitenden werden zu aktiven Playern auf dem internen Marktplatz der Möglichkeiten und können deutlich mehr Eigenverantwortung für die eigene Entwicklung übernehmen, da sie nicht darauf angewiesen sind, "entdeckt" werden zu müssen.

Konkretes

Konkretes
Nach unserer Erfahrung gibt es einige Methoden, die - wenn sie passen - schnell wirksam sein können. Dazu zählen u. A.:

  • Talent Profile: kurzes Übersichtsprofil mit relevanten Daten: Was muss ich über eine Person wissen, um mir ein gutes Bild verschaffen zu können, ob ich sie/ihn für eine Aufgabe / Projekt / offene Stelle ansprechen möchte
  • Yellow Pages: In Eigenverantwortung gepflegte Themen, zu denen man spezielle Kenntnisse oder Interessen hat  
  • Global vergleichbare Klassifizierung von Ebenen, Job-Familien, Erfahrungsbereichen 
  • Transparenz über offene Positionen und die jeweiligen Erwartungen / Auswahlkriterien
  • Talent-Runden zur Durchsprache des Personalportfolios (Achtung: Dies heisst nicht, dass MitarbeiterInnen in ein 9-Felder-Schema gepresst werden müssen!) und Ableitung wichtiger Maßnahmen
  • Einfache Kennzahlen zur Darstellung, wie gut die personelle Absicherung der wichtigsten Kompetenzbedarfe ist. z. B. "strength of pipeline" je Job-Familie
  • Projekt-/Einsatzbörsen, auf die sich MA bewerben können.
  • Förderung von Eigeninitiative durch transparente Angebote / Möglichkeiten

Es gibt auch Ansätze, die nach unserer Ansicht mit großer Vorsicht zu behandeln sind. Solltet Ihr so etwas im Einsatz haben oder planen, muss das nicht falsch sein, aber wir raten: hinterfragt noch einmal den Nutzen und die Risiken:

  • Komplexe Domino-Ketten im Nachfolgemanagement: Wo tut sich bei internen Nachbesetzungen die erste Lücke auf, die nicht mehr intern nachbesetzt werden kann
  • Global Kalibrierung von Potenzialdaten
  • Management-Meetings mit starren 9-Grid-Boxen und schematischen Schubladen, die mindestens so viele Verlierer wie Top-Potenziale generieren
  • Grundverständnis, dass sich Potenzial management lässt. Stattdessen: Befähige die Organisation, dass sich Potenzial entfalten kann
    Insgesamt sehen wir als Erfolgsfaktoren für gutes Talent-Management

Einfachheit, Transparenz für MitarbeiterInnen, Relevanz und Nutzen der Aktivitäten, integrierte Datenmodelle und Nutzerzentrierung.

Alles in allem

... wird Talent-Management immer wichtiger in der weiter spezialisierten Gesellschaft und vor dem Hintergrund der  steigenden Bedarfe an Verwirklichung, an sinnvoller Tätigkeit und dem Wunsch nach Erschließung der eigenen Potenziale. 

Dabei entwickelt sich Talent-Management selbst immer weiter und kann sogar dazu genutzt werden, dass MitarbeiterInnen und Teams sich besser kennenlernen und ihre eigenen Ziele finden, die auf die Entwicklung des Unternehmens einzahlen. 
Dann hilft Talent-Management - auch ganz im Sinne der New Work - Menschen und Unternehmen bei ihrer Entfaltung.

Dies lässt sich allerdings nicht dadurch erreichen, dass lediglich neue Software eingeführt wird. Wenn bspw. in dezentralen Einheiten Bedenken bestehen, dass "die Zentrale" mir meine besten Talente "wegentwickelt", werde ich versuchen, diese im System nicht transparent zu machen, sondern sie zu verstecken. 

Und jetzt?

Wir empfehlen eine Konzeptionsphase mit starker Einbindung der zukünftigen Anwender, eine ausführliche Nutzenargumentation in offener Kommunikation und das Schaffen von schnell erlebbaren Vorteilen, damit das gesamte Thema, inklusive der digitalen Umsetzung, positiv besetzt ist. 

Unseren Expet:innen helfen Euch gerne bei der Umsetzung! 

Quellen / Links:

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