meHRdigital: #3.3 Lernmanagement digital

Veröffentlicht am 01.09.2021

Bedeuten immer umfangreichere Lernmanagement-Systeme das Ende der Classroom-Trainings?

Illustration von digitalem Lernen mit Lehrer und Studenten

Wer liebt sie nicht, die jährlich immer wieder gleichen E-Learnings zum Datenschutz und zur Arbeitssicherheit? Jedes Jahr dieselben lustigen Bilder mit der aufgeklappten Schere auf dem Schreibtisch, dem Wasserkocher mit brüchigem Kabel und den diversen Stolperfallen im Zimmer. 
Die Fragen sind mittlerweile bekannt, pfiffige Kollegen haben gar Screenshots gemacht und die richtigen Antworten markiert, manche sind gar so gewieft und übergeben die Anmeldedaten an den Praktikanten oder die Auszubildende, um nicht selbst Zeit für diese Pflichtübung aufbringen zu müssen. 

Und jetzt soll Weiterbildung noch digitaler werden? Noch mehr elektronische Selbstlernmedien anstelle kommunikativer Präsenzschulungen? 

In der Pandemie haben sowohl Bildungsanbieter als auch alle Beschäftigten sehr schnell lernen müssen, auch solche Themen online aufzubereiten, für die zuvor Präsenzveranstaltungen gesetzt waren. Wird es – vorausgesetzt es wird wieder ein „Normal“ wie früher geben – ein Zurück zu diesen Zeiten geben?

Wir wollen dafür sensibilisieren, dass digitale Unterstützung für Lernen und Entwickeln weit mehr als digitale Lernformate sind. Bereits in den frühen 70er Jahren wurden große Forschungsprojekte aufgesetzt, um den Erfolg von Computer Based Instructions mit Classroom Instructions zu vergleichen [1]. Auch wenn die Akzeptanzquoten sowohl bei den Lehrenden, als auch bei den Lernenden sehr niedrig waren, waren die Erfolgsquoten für die Vermittlung des Lerninhaltes besser, als bei der vergleichend durchgeführten Vermittlung im Klassenraum.
Seit den 80er Jahren sind auch im unternehmerischen Kontext immer mehr elektronisch gestützte Lernformate anzutreffen. Aus Computer Based Trainings, bei denen zu Beginn noch mit vielen Floppy Discs, später CD-ROMS und DVDs hantiert werden musste, sind mittlerweile WBTs (Web Based Trainings) geworden.
Doch neben der Entwicklung der Lernmedien, die durch heutige Grafik- und Videomöglichkeiten sowie erfolgreiche Anleihen aus der Machart von Unterhaltungsserien und der Spieleindustrie deutlich attraktiver geworden sind, gibt es rasante technische Entwicklungen zur Unterstützung des gesamten Lern-Ecosystems.
Aus den großen Playern im E-Learning Bereich wurden Lernplattformen, die die gesamten verfügbaren Inhalte transparent darstellen, übersichtliche Kataloge bieten und diese zielgruppenadäquat vor sortieren. 
Ergänzt wurden die Lernplattformen durch die Abbildung aller angrenzender Prozesse zu Lernmanagement-Systemen (LMS). So kann von der Bedarfsermittlung (TNA: Training-Needs-Analysis) über den Anmeldeprozess (inkl. Wartelisten- und Nachrückerverwaltung, Stornoreglungen etc.), die Trainingsvorbereitung (Räume, Referenten, Unterlagen), die Unterstützung der Durchführung (E-Learning Player, Pre- & Post-Tests, virtual Classrooms, Umfragen, Quiz etc.) bis zur Nachbereitung (online Nachbefragung, zentrale Ablage, Dokumentation und Zertifikate) der Gesamtprozess unterstützt werden. Zudem lassen sich solche LMS auch zumeist eng in die HR Core Systeme einbetten, so dass gemeinsame Nutzerverwaltung und ein integrierter Datenhaushalt gewährleistet werden.  
Ist das LMS gar Bestandteil einer HR-Suite, lassen sich auch durchgängige Prozesse effizient abbilden. Aus dem MA-Gespräch, in dem beispielsweise Lernziele adressiert werden, kann dann gleich der Absprung erfolgen, welche Lernangebote es denn zum jeweiligen Thema gibt. Aus übergreifenden Skill-Beurteilungen können Lernbedarfe analysiert werden. Komplexe Lernpfade lassen sich abbilden, die neben den verschiedenen Lernformaten auch Praxiseinsätze, z. B. in Projekten berücksichtigen. 
Durch die Kombination von unternehmerischen, ökonomischen Daten mit Daten der Lernenden kann der Lernerfolg endlich auch hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Perspektive besser dargestellt werden.

Jüngste Entwicklung ist die Schaffung von LXP-Systemen. Learning Experience Plattformen stellen die Nutzerzentrierung in den Mittelpunkt. Die Einfachheit der Bedienung, die Integration in den Berufsalltag und der spielerische Umgang mit dem System werden besonders betont, um die Akzeptanz des Systems maximal zu steigern. Auch wenn es keine enge Definition gibt, ab wann sich ein Learning Management System LXP nennen darf, lassen sich die Experience Plattformen über folgende Eigenschaften abgrenzen:

  • Übersichtliche, grafische Oberflächen, oftmals orientiert an den Portalen der großen Video-Streaming-Plattformen
  • Mobile First: Optimierung für mobile Endgeräte, nicht zusätzlich, sondern prioritär
    Gamification: Nutzung von spielerischen Ansätzen, um den sportlichen Ehrgeiz auch für das Lernen zu wecken (Bestenlisten, High Scores im Vergleich zu Anderen / Gruppen, Auszeichnungen, Wettbewerbe, etc.)
  • Social Learning: Lernen in der Gruppe, virtuelle Zusammenarbeit von Personen, die gleiche Lernziele bzw. Lerninteressen haben wird gefördert 
  • Einfachheit vor Funktionsumfang: Anwender sollen sich schnell zurechtfinden, die Abbildung komplexer Curricula ist nicht so wichtig, wie das Nutzererlebnis
  • Offene Architektur: gerade, weil nicht der Anspruch besteht, alle Funktionalitäten mit der LXP abzubilden, ist es relativ einfach möglich, weitere Tools anzubinden, z. B. auch ein komplexeres Veranstaltungsmanagement.

Gerade in Hinblick auf eine konsequente Mobilefähigkeit und Nutzerzentrierung ist die schrittweise Verbreitung des Tin Can oder auch xAPI Standards erwähnenswert [2] [3]. Jahrzehnte war für Lernmodule der SCORM-Standard (Sharable Content Object Reference Model) der Entscheidende. Nahezu alle LMS sind SCORM basiert. Dies stellt sicher, dass Content, nach SCORM produziert, unkompliziert von Drittanbietern zugekauft werden kann und dann in das eigene LMS integriert und dort problemlos abgespielt werden kann. 
Experience API bietet nun weitaus mehr: Mit dem neuen Standard wird der Lernstand fortlaufend geräte- und programmiersprachenunabhängig protokolliert. Lernende können offline am Smartphone z. B. in der Bahn ein Lernmodul beginnen und später im Büro am Rechner fortsetzen. Das xAPI-basierte System „merkt“ sich den aktuellen Zwischenstand. Es ist auswertbar, an welchen Geräten und wann das System wie genutzt wird. Auswertungsmöglichkeiten sind deutlich umfangreicher, als dies in SCORM basierten Systemen der Fall ist.

Am Markt sind zahlreiche Lernmanagement Systeme erhältlich. Lediglich wenige große Anbieter erreichen Marktanteile von mehr als 4 % (z. B. SumTotal, Oracle, Cornerstone, SAP). Der restliche Markt verteilt sich auf über 500 verschiedene Anbieter! [4] 
Wir bei meHRsalz gliedern diese Fülle von Anbietern in sechs Cluster, um mehr Transparenz zu schaffen:

  1. HR Suiten:
    Die großen HR-Suiten (z. B. SAP SuccessFactors, Workday, Orcacle) haben mittlerweile alle auch ein Learning Management Modul im Angebot. Vorteile bietet die Integration vor allem durch einen gemeinsamen Datenhaushalt, eine weitestgehend harmonisierte Nutzerführung und nur einen Vertragspartner für die HR-IT Landschaft
  2. Talent Suiten:
    Eine Nummer kleiner als die HR Suiten decken Talent Suiten ein breites Feld der Personalarbeit ab, verzichten zumeist aber auf die Personaladministration und Entgeltabrechnung. Die Anbieter fokussieren auf einen integrierten Personalentwicklungsansatz und zeigen hier zumeist sehr hohe Funktionalität
  3. Best-of-Breed Lernsysteme:
    Anbieter, die sich ausschließlich auf Learning fokussieren und hier mit dem höchsten Funktionsumfang und tiefem Expertenwissen für Pflege und Weiterentwicklung
  4. Schlanke Cloud-Learning-Solutions:
    Tools, die schnell eingeführt werden können, sich auf bewährte Standardprozesse fokussieren und deren Konfiguration teilweise eingeschränkt ist. Manche Anbieter fokussieren z.B. rein auf die schnelle und unkomplizierte Bereitstellung von Lernvideos 
  5. Open Source Lernplattformen:
    Günstige, durch eine breite Community permanent weiterentwickelte, Lernplattformen, oftmals im akademischen Umfeld weit verbreitet, zumeist hoher Funktionsumfang aber eingeschränkte User Experience und Integrationsfähigkeit
  6. Learning Experience Plattformen:
    Wie oben bereits beschrieben fokussieren sich diese Anbieter auf Nutzererlebnis und maximale Akzeptanz.
Kategorien von Learning Solutions Infografik

Diese 6 Cluster sind nicht immer trennscharf, so liegt z. B. der Entwicklungsschwerpunkt von Workday Learning seit einiger Zeit auf der Learning Experience, so dass das HR-Suite Lernmodul auch in der Kategorie LXP geführt werden könnte. Best-of-Breed Anbieter erweitern ihre Produkte schrittweise hin zu ganzen Talent Suiten, haben einfache Cloud Module im Gepäck und beinhalten viele Elemente einer LXP. Die Cluster sollen lediglich eine grobe Orientierung bieten. Eine Berechtigung haben sie alle, so wundert es auch nicht, dass auch renommierte Anbieter teilweise verschiedene Lösungen in diesen Clustern anbieten. So hat beispielsweise die SAP mit SuccessFactors Learning ein Lernmodul in der Kategorie HR Suite mit SAP Litmos aber auch ein separates Cloud Best-of-Breed Produkt. Je nachdem, ob hohe Integration oder aber schnelle Einführung und spezifische Learning-Anforderungen im Vordergrund stehen, kann der Kunde das passende Produkt wählen.

Für die Auswahl eines konkreten Systems haben sich in unseren Projekten vor allem folgende differenzierende Merkmale herauskristallisiert:

  • Sprachversionen und Service in der benötigten Sprache: 
    Lernen soll oftmals in der Muttersprache erfolgen. Viele Systeme sind allerdings eingeschränkt in der Anzahl der zur Verfügung stehenden Sprachen oder man merkt sehr schnell, dass die Übersetzung rein maschinell erfolgte. Sollen auch Dienstleistungen / Services z. B. bei Einführung und Pflege in Landessprache erfolgen, schränkt dies die Liste der geeigneten Systeme oftmals schnell stark ein.
  • Integrationsfähigkeit: 
    Wie stark die Integration in andere vorhandene Systeme erfolgen soll, ist ebenfalls ein stark differenzierender Faktor. Cloud-basierte Systeme stellen zumeist eine einfache Programmierschnittstelle (API: Application Programming Interface) zur Verfügung, eine echte Integration drüber herzustellen ist jedoch zumeist nur eingeschränkt und mit hohem Aufwand möglich.
  • Mobile und Offline-Fähigkeit:
    Lernen soll heute zumeist orts- und zeitunabhängig stattfinden. Nahezu alle Mitarbeitende haben Zugriff auf ein Smartphone, so dass eine Optimierung für solche Endgeräte lohnenswert ist. Soll auch das offline-Lernen ermöglicht werden, ist es hilfreich, wenn eine echte App und nicht nur eine browserbasierte Version zur Verfügung steht und auf den neueren xAPI Standard gesetzt wird.
  • Funktionsumfang, insbesondere im Veranstaltungsmanagement:
    Was muss die Lösung leisten können, vor allem: Was soll über das Lernmanagement System alles administriert werden? Sollen auch physische Trainings, komplexe Lernpfade und Curricula, Anmeldeprozesse mit Wartelisten, verschiedene Stornobedingungen etc. abbildbar sein, schränkt dies die Auswahl stark ein. 
  • Externe Lernende:
    Sollen auch Lernende außerhalb der Organisation berücksichtigt werden und diese ggf. auch zahlungspflichtige Dienste in Anspruch nehmen können, benötigt das Lernsystem eine eCommerce Komponente, was bei weitem nicht alle Systeme anbieten.
  • Talent Management Komponenten:
    Soll nicht nur Lernen im engeren Sinne abgebildet werden, sondern zumindest auch ein Skill- und Kompetenzmanagement im System vorhanden sein, ist es sinnvoll von Beginn an zu berücksichtigen, welche Talent-Funktionalitäten ggf. als Ausbaustufe benötigt werden.
  • Controlling und Reporting:
    Der Funktionsumfang zu Auswertungen und Dashboards, insb. wenn Lerndaten mit Daten anderer Quellen kombiniert werden sollen, differenziert stark zwischen den verschiedenen Anbietern.

Nach unserer Erfahrung lässt sich die unübersichtliche Vielfalt von mehr als 500 Marktanbietern sehr schnell auf eine handhabbare Shortlist von 3 – 5 Anbietern reduzieren, wenn die Zielsetzungen und Kernanforderungen kritisch reflektiert werden. Je nach Priorität der differenzierenden Kriterien und der spezifischen Herausforderungen der jeweiligen Organisation sind es aber immer wieder andere Anbieter, die dann eine solche Shortlist bilden. 

Mit welchen zukünftigen Entwicklungen können wir bei Lernmanagement-Systemen rechnen?

Wie in allen HR-IT Anwendungsfeldern ist die Entwicklung auch im Lernmanagement rasant. Die Cloud-basierte Bereitstellung führt dazu, dass Update-Intervalle immer kürzer werden und mehrmals im Jahr Neuerungen zur Verfügung gestellt werden. Wir sehen zwei große Entwicklungsfelder, in denen besondere Veränderungen zu erwarten sind:

  1. User Interface:
    Neue Standards wie xAPI ermöglichen eine tiefe Integration verschiedener Lernkomponenten in andere Systeme. Es ist davon auszugehen, dass sich in den Organisationen ein führendes System für Mitarbeiterinteraktionen herausbildet. Nicht zuletzt durch die rasante Entwicklung zu Lockdown-Zeiten kann dies z. B. MS Teams, oder ein Social Intranet sein. Das Lernmanagement System arbeitet dann im Hintergrund. Jeder relevante Themenkanal erhält einen zusätzlichen Reiter mit den dazugehörigen Lernmodulen. Technisch ist dies heute schon abbildbar. Die hohe Anwenderorientierung eines solchen Szenarios wird für eine rasche Ausbreitung sorgen.
  2. KI und Learning:
    KI und Smart Data werden auch im Learning weiteren Einzug halten. Mustererkennung, „künstliches Erfahrungslernen“ durch die Interpretation von Datenmengen, die nicht-maschinell nicht beherrschbar sind, führen zu neuen Erkenntnissen, die in Lernmodule aufgenommen werden. Auch die Didaktik ändert sich, da jederzeit auswertbar sein wird, wo die Lernenden aufmerksam folgen, wo sie aber auch nicht mehr aufnahmefähig sind. Innovative KI Konzepte für Learning & Development nutzen umfangreiche Qualifikationsdaten um zu beantworten, welche Lernpfade für welche Lernenden erfolgreich sind und welche Vorerfahrungen (basierend auf validen Kompetenzdaten und ganzheitlichen Lernhistorien) zwingend erforderlich oder förderlich sind, um eine intensive L&D Maßnahme erfolgreich zu absolvieren. Zugleich bieten sie den Mitarbeitenden dabei aber ein hohes Maß an Kontrolle, welche Daten zu welchem Zweck verwendet werden dürfen[5]. 
    Für weitere Auswirkungen der KI auf das HR Management empfehlen wir das Kapitel 2.2 unseres meHRdigital-Blogs. 

Das gesamte Themenfeld der Personalentwicklung profitiert gewaltig von ergänzender digitaler Unterstützung. Angebote können ganz anders transparent gemacht und in den Arbeitsalltag integriert werden, die Darreichungsformen sind Andere und Zusatzinformationen und Services jederzeit abrufbar. Auch klassische Formate profitieren davon: Die Administration wird einfacher, alle Informationen finden sich an einem Ort und Teilnahmen sind automatisch dokumentiert, Zertifikate erstellt und die Bildungshistorie gepflegt. 

Digitalisierung der Weiterbildung heißt also nicht, dass alle Formate auf Digital umgestellt werden, wohl aber, dass die Prozesse der Weiterbildungsadministration deutlich einfacher werden und die Nutzerorientierung in den Vordergrund rückt.

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Quellen / Links:

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