meHRdigital: #1.2 Digital Mindset

Veröffentlicht am 11.03.2021

Müssen wir nun alle das Programmieren lernen?

Illustration eines digitalen Mindsets mit Schlagworten und Grafiken.

Unser Blog Beitrag zu Treibern und Nutzen der Digitalisierung in HR hat gezeigt, dass das Thema äußerst lohnenswert ist und wir als HR'ler uns dem auch nicht entziehen können. 
So wundert es nicht, dass in nahezu jeder HR-Strategie und den Jahresplänen der Personalbereiche das Thema auftaucht. Oft steht dort: Wir brauchen eine Mitarbeiter-App, wir entwickeln eine Cloud-Strategie, schaffen ein Social Intranet nutzen zukünftig moderne mobile Endgeräte und neue IT-Module zur besseren Abbildung unserer Kernprozesse. 
Doch warum verläuft die Umsetzung so schleppend? Warum ist HR so selten Vorreiter der digitalen Transformation? Dieses Defizit liegt meist nur zu kleinen Teilen daran, dass die interne IT nicht nachkommt. 

Zur erfolgreichen Umsetzung der digitalen Transformation gehört insbesondere in der Personalarbeit deutlich mehr als die Anschaffung und der Einsatz neuer Technologie.  
Vielen Entscheidern, die die Macht hätten, schnelle Umsetzungen zu erreichen, ist das Thema zu theoretisch, das Zielbild zu abstrakt. Läuft dies einher mit einer Grundhaltung, dass das Personalmanagement besser durch Menschen als durch Technik gelebt wird, wundert es wenig, dass an der Umsetzung hapert. Aber nicht nur ggf. vorhandene Technologie­skepsis wirkt hier hinderlich, sondern auch unsere grundsätzliche industriekulturelle Prägung in Europa ist hoch relevant: Fortschritt geschah bisher inkrementell, mit jährlich bilanzierbaren Zwischenschritten, selbst in unseren Technologiebranchen wie z. B. dem Maschinenbau. Die exponentiellen Veränderungskurven der digitalen Revolution haben wir nicht verinnerlicht. 

Wirklich erfolgreich in Sachen Digitalisierung sind aber die Organisationen, die von einem digitalen Mindset geprägt sind. Die rasante Dynamik von Unternehmen, die die dritte Welle des Internets reiten, färbt nun auch auf gänzlich andere Branchen ab. Wer sich mit dem neuen Mindset des Digitalzeitalters vertraut macht, die Auswirkungen versteht und entsprechende Haltungen verinnerlicht, kann davon profitieren, gänzlich andere Veränderungsdynamiken hervorrufen zu können. Denn das digitale Mindset beeinflusst das Engagement oder aber den Rückzug aus digitalen Transformationsinitiativen des Unternehmens.

Doch was macht nun ein digital Mindset konkret aus? 

Für den tieferen Diskurs empfehlen wir die wissenschaftliche Definition von Breendiek und Knorr, die sechs erfolgskritische Persönlichkeitsdispositionen extrahieren, die im berufsbezogenen Kontext ein digitales Mindset beschreiben, nämlich:

  • Offenheit und Agilität
  • Proaktivität
  • Kreativität und Gestaltungsmotivation
  • Kundenzentriertheit
  • Kritikfähigkeit
  • Offener Umgang mit Scheitern
     
    (vgl. Brendiek, Knorr (2020))

Zahlreiche weitere Definitionen lassen sich finden. Was uns wundert: Sehr häufig wird dabei gerade bei praxisorientierten Studien überwiegend oder gar ausschließlich auf Führungskräfte referenziert. In der heutigen agilen Welt, in der immer höhere Grade an Eigenverantwortung gefordert sind, wollen wir einen breiten Ansatz wählen. 

Die in obiger Definition gegebenen Persönlichkeitsdispositionen halten auch wir für sehr förderlich, allgemein und nicht nur für die digitalen Transformation von Bedeutung. Ein digitales Mindset zeigt sich für uns ganz konkret vor allem an folgenden Dimensionen:

Positive Grundhaltung zur IT:
Welches Bild haben wir darüber, wie Technologie unsere Arbeitswelt und ganz konkret den eigenen Arbeitsplatz verändern wird? Bei einem digitalen Mindset ist dieses Bild stark positiv: Technologien werden genutzt, um die Arbeit ansprechender gestalten zu können. Langweilige, repetitive Tätigkeiten werden automatisiert, es entstehen Freiräume für kreative und sonstige wertschöpfende Tätigkeiten. Intelligente Technologien helfen uns, bessere Entscheidungen zu treffen und uns frühzeitig mit neuen Themen zu beschäftigen, eine kontinuierliche Weiterentwicklung in eigener Sache wird durch die Technik erst befähigt.

Strategische Adaption:
Neue Technologien werden zum Anlass genommen, grundsätzlich Strategien in Frage zu stellen. Sie werden als Katalysator genutzt, Innovationen quer über Prozess- und Geschäftsbereichsgrenzen zu treiben, auch bewährtes grundsätzlich in Frage zu stellen. Dies ist eine gänzlich andere Haltung, als in der neuen Technologie lediglich einen Befähiger für mehr Effizienz zu sehen und die Umsetzung als operative Aufgabe zu definieren.

Transformationswille und -fähigkeit:
Das aktive Suchen nach Anwendungsfällen, in denen digitale Transformation spürbare Ergebnisse zeigt. Sobald ein Prozess erfolgreich optimiert wurde, steht der Gedanke im Vordergrund, auf welche anderen Abläufe sich dies übertragen lässt. Die „Zweit- und Drittverwertung“ guter Ideen, die Übertragung von Erfolgen Anderer auf den eigenen Verantwortungsbereich ist prägend für einen digitalen Mindset und fördert spürbare Veränderung. 

Machen statt planen:
Das Zeitalter umfangreicher Lastenhefte, anschließender Machbarkeitsstudien und Validierungen über ausgefeilte Business Case, dann Ausschreibungen und gemeinsam erstellter Pflichtenhefte neigt sich dem Ende zu. Ein solches Vorgehen benötigt sehr viel Zeit und in der heutigen volatilen Welt haben sich die Anforderungen radikal verändert, bis der erste roll out stattgefunden hat. Die schnelle Umsetzung, das Ausprobieren mit frühen Prototypen, die dann schrittweise optimiert werden, zeigt am ehesten, ob die mit oben zitierter wissenschaftlichen Definition gegebenen Eigenschaft „Offenheit und Agilität“ gegeben ist. Allerdings ist hierfür auch Mut notwendig, Entscheidungen zu treffen auch unter Unsicherheit. Ein Verstecken hinter in vielen Runden validierter Planungen ist dann nicht möglich und ein Scheitern muss mit einkalkuliert werden. Die oben zuletzt genannte Eigenschaft „Offener Umgang mit Scheitern“ ist in Kombination daher ganz wichtig. Uns gefällt allerdings hierzu das Design Thinking Prinzip „fail often and fail early“ (HPI, 2021) besser, da es noch aktiver beschreibt, dass Scheitern notwendig ist, und nicht nur geduldet werden muss, um den richtigen Weg für die jeweilige Organisation zu finden. 

Wenn es über solche oder ähnliche Beschreibungen gelingt, ein zielführendes digitales Mindset besser besprechbar zu machen und nicht nur einen abstrakten Begriff vor sich her zu tragen, ist das ein erster Schritt in die Richtung, die Kultur so zu beeinflussen, dass die digitale Transformation erfolgreicher wird. Einige weitere Anregungen wollen wir geben, um insbesondere innerhalb von HR das digital Mindset zu stärken, Akzeptanzhürden zu reduzieren und mehr Lust auf die Veränderungen zu machen, die uns bevorstehen:

Das Thema zum Thema machen: 
Eine aktive Beschäftigung mit dem persönlichen digital Mindset und den unterschiedlichen Ausprägungen im jeweiligen Team hilft, Reaktionen im Team besser zu verstehen. Insbesondere wählt man nicht eine eindimensionale Betrachtungsweise, die den Begriff eher als Buzword hinstellt, sondern setzt sich intensiv mit der eigenen Haltung zur Formbarkeit von Fähigkeiten auseinander. Wer sich mit dieser Sicht tiefer auseinander setzten möchte, dem sei der hervorragende Artikel von Solberg; Traavik2;Wong, 2020 empfohlen, die 4 Typen des digital Mindsets bilden und Handlungsempfehlungen für Rollen und Strategien ableiten.

Sensibilisierung von Führungskräften:
Die Art und Weise, wie Führungskräfte den Kontext der Implementierung neuer Technologien gestalten, sowohl in ihrer Kommunikation als auch durch ihr Verhalten, hat wichtige Auswirkungen darauf, wie die Mitarbeitenden neue Technologien wahrnehmen und darauf reagieren. Führungskräfte, die das Lernen im Kontext der digitalen Transformation betonen, aktivieren bei ihren Mitarbeitern die Überzeugung, dass technologische Fähigkeiten entwickelt werden können. Vorgesetzte, die die digitale Transformation als eine Gelegenheit zum Lernen gestalten, sind bei ihren Projekten erfolgreicher (Edmonson, nach Solberg et. al.).

Verdinglichung der abstrakten Zielbilder:
Versucht, das Zielbild sehr plastisch, anfassbar werden zu lassen. Was ist im Zielzustand anders, welche Auswirkungen hat das für den konkreten Arbeitsplatz? Welche ungeliebten Arbeiten fallen später vielleicht gänzlich weg, wo gibt es welche Unterstützung? Konkrete Beispiele, die aufzeigen, was sich konkret ändern wird, sind sehr hilfreich. Hier geht es nicht um Schönfärberei. Sollten Arbeitsplätze wegfallen, ist es unglaubwürdig, hier drum herum zu reden. Vielleicht lässt sich aber auch in solchen Situationen darstellen, wo neue Jobs entstehen oder sich neue Möglichkeiten auftun. „Klarheit durch Wahrheit“ schafft Glaubwürdigkeit und eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema.

Feiern von Erfolgen digitaler Verbesserungen:
Auch kleine Zwischenschritte sollten hervorgehoben und transparent gemacht werden. Erfolgsgeschichten aus der Organisation breit geteilt werden. Ist die Veränderung erlebbar und die Konsequenzen besser abschätzbar, hört man gar von Kollegen anderer Bereiche über positive Auswirkungen, befördert dies einen für Veränderungen sehr förderlichen „growth mindset“ (Wachstumsmentalität, die Intelligenz, Fähigkeiten und andere grundlegende Eigeneschaften als formbare persönliche Ressourcen betrachten, die über Anstrengung und Lernen ausgebaut werden können. Vgl. hierzu auch Dweck, 2006)

Fördern von Kreativität:
Das Einbinden der Betroffenen nicht nur in die Kommunikation und in Schulungsmaßnahmen, sondern aktiv in die Gestaltung des Wandels kann hohe kreative Potenziale und großen Mehrwert bieten. Aktivierende Workshopformate zur Analyse weiterer Bedarfe, von Optimierungspotenzialen oder Übertragbarkeitsmöglichkeiten positiver Beispiele auf das eigene Aufgabenumfeld können durch die Mitarbeitenden sehr gut bearbeitet werden. 

Stärken des eigenverantwortlichen Handels:
Komplexe Vorhaben werden nicht automatisch dadurch besser, dass sie hierarchisch top down gesteuert werden. Klare Verantwortungsdelegation an ein Team, eine Lösung eigenverantwortlich zu erarbeiten, stärkt ownership und Motivation. 

Ausbau interdisziplinärer Teams:
Digitalisierung von HR betrifft nicht nur HR. Das Ergebnis ist für die gesamte Organisation sichtbar und spürbar. Wir plädieren stark dafür, Projektteams interdisziplinär zu besetzten. Vertreter der zukünftigen Anwender (MA und FK), Vertreter der Mitbestimmungsgremien, IT-Experten und ggf. Marketing oder Kommunikationsfachleute gleich von Beginn an mit in das Team aufzunehmen, sorgt dafür, das Konzepte und Lösungswege eine hohe Praxisrelevant haben.

Müssen wir also nun alle programmieren lernen?

Nein, müssen wir nicht. 
Aber unser digitales Mindset müssen wir deutlich ausbauen! 
Die Frage ist bereits tendenziös und spiegelt eine gewisse ablehnende Haltung wider. Wir fänden es sehr hilfreich, wenn bereits jeder Schüler Einblicke in die Grundzüge der Programmierung erhalten würde. Wem das nicht vergönnt war, sollte das im Berufsleben nachholen. Über heutige grafische low-coding Baukästen ist Programmierung sehr einfach geworden und schnelle Erfolgserlebnisse sind erlebbar. Über einen solchen Einblick entstehen keine neuen Top Programmierer, die uns morgen nebenbei am Mittagstisch die AI für unsere HR-Analysen entwickeln, aber die Berührungsängste verschwinden und ein positiver Blick auf die Möglichkeiten der Digitalisierung wird gefördert. 

Denn HR muss den digitalen Mindset ausbauen, will es vom Zaungast der digitalen Transformation zum Gestalter werden. Es geht hier nicht um „entweder menschlich oder technisch“, sondern um ein sowohl als auch. Wenn HR hier nicht stark gestaltend tätig wird, ja sich stattdessen der Entwicklung gar mit wenig belastbaren Argumenten entgegenstellt, wird die Frage nach der Daseinsberechtigung deutlich lauter und vehementer werden.
Zu oft haben wir leider erleben müsse, dass best-in-class HR-IT Lösung implementiert und mit groß angelegten Change Programmen begleitet wurden, HR Key User ob der neuen Technologien aber in den inneren Widerstand gingen, während die Kunden von HR begeistert waren. Nachhaltig erfolgreich kann eine Implementierung nicht sein, wenn HR Key User bereits Schwierigkeiten haben, sich den Link zur neuen Cloud Lösung als Favoriten zu speichern.

Stärkt Euren digitalen Mindset und diskutiert mit uns auch gerne die folgenden Kapitel des meHRdigital blogs, in denen wir tiefer in die konkreten Handlungsfelder der digitalen Transformation von HR eintauchen. Einen Überblick zu den Themen dieser Reihe gibt das einleitende Kapitel HR & die digitale Transformation.

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Quellen:

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